WENN KLINKER FREMD GEHEN: GALA-BAU AUF DEM DACH

Das Pfarrzentrum und die Kindertagesstätte St. Konrad in Neuss sind ein kleines Dorf im Dorf. Foto: Ingo Jensen/tubag

Schon beim ersten Anblick unverkennbar: Der Neubaukomplex mit Pfarrzentrum und Kindertagesstätte St. Konrad in Neuss ist etwas ganz Besonderes. In der Tat haben Bauherr, Architekt, die ausführenden Handwerker und die beteiligten Partner aus der Industrie eine Besonderheit geschaffen: Denn erstmals überhaupt wurde bei einem Hochbauprojekt das Konzept der gebundenen Systembauweise aus dem Garten- und Landschaftsbau angewandt.

Allerdings nicht im Garten oder auf der Zuwegung, sondern ganz woanders: auf dem Dach. Dort, wo wir seit Jahrhunderten gelernt, Dachziegel vorzufinden, haben klassische Klinkersteine deren Platz eingenommen. Sie wurden im halben Steinformat als so genannte Sparverblender im Mörtelbett verlegt. Die insgesamt sieben Gebäude des Ensembles wirken dadurch wie monolithische Baukörper, denn es gibt keine sichtbaren Dachrinnen und an der Fassade wurde derselbe Klinker wie auf dem Dach verwendet. Vorbild war die Kirche St. Konrad, die vor über 70 Jahren von Gottfried Böhm, dem Vater von Paul Böhm, erbaut wurde, längst zum Denkmal aufgewertet, das schon von weitem die Umgebung prägt.

Das Pfarrzentrum und die Kindertagesstätte St. Konrad in Neuss sind ein kleines Dorf im Dorf

„Unser Ziel war es, direkt neben der Kirche ein kleines Dorf im Dorf entstehen zu lassen. Denn das Ensemble ist ja eingebettet in eine Einfamilienhaussiedlung. Die neuen Gebäude sollten sich nicht von der städtebaulichen Körnung her von der umliegenden Bebauung abheben und dennoch der Kirche zugehörig sein. Es sollte sichtbar werden, dass Kirche und Dorf nicht aus der gleichen Zeit stammen und trotzdem eine gewachsene Einheit ergeben“, sagt Paul Böhm, der 2012 mit dieser These den Architektenwettbewerb gewann. Für die besondere architektonische Gestaltung mit Dach-und-Wand-Einheit standen Bauwerke Pate, die in ähnlicher Konstruktion bereits realisiert wurden, wie zum Beispiel der Speicherturm des Landesarchivs NRW in Duisburg.
Es gab verschiedene Gedankenansätze, um den monolithischen Gestaltungswunsch der Architekten und die Anforderung einer innenliegenden Entwässerung in die Praxis umzusetzen: „Ursprünglich hatten wir Betonfertigteile im Sinn, bei denen die Klinker bereits werksseitig eingegossen sind. Alternativ war auch eine Lösung mit Pflasterklinker aus dem Gala-Bau in Frage gekommen, die erste Variante war bei genauerer Betrachtung zu teuer. Am Schluss wurden die Dachflächen wie Platzflächen gesehen, vergleichbar mit dem Aufbau einer Tiefgarage“, erklärt Paul Böhm. Realisiert wurde schließlich eine Stahlbetondecke plus EPS-Dämmung, Bitumenabdichtung und eben mit Pflaster-Klinkersteinen, die auf einer hochbelastbaren Drainagematte in Systembauweise im Mörtelbett verlegt wurden.

"Ursprünglich hatten wir Betonfertigteile im Sinn, bei denen die Klinker bereits werksseitig eingegossen sind"
Paul Böhm, Architekt

Speziell für dieses Projekt änderte der Klinker-Hersteller den Farbton des Dachklinkers („KKF ½-DF“) von Rot auf „leicht bunt“, um ihn genau der Farbe des Fassadenklinkers anzupassen. Und auch die Rezeptur der Trass-Fugenmörtel TKF (Fassade) und TWM-s (für Lagerfugen, Gratfugen und Stoßfugen) wurde exakt auf die Fugenfarbe der benachbarten Kirche eingestellt.
Durch die Verlegung in Systembauweise und den Einsatz der Trass-Naturstein-Haftschlämme wird ein besonders starker Haftverbund erzeugt, der die Dachfläche auch bei starken Umwelt- und Witterungseinflüssen zuverlässig schützt. Der hohe Trassanteil des Fugenmörtels schützt zudem nachhaltig vor Kalkausblühungen und hält sowohl die Wand- wie auch die Dachflächen lange schön.
Zusätzlich zur innenliegenden Dachrinne wurde bei der besonderen Dachkonstruktion als zweite Entwässerungsebene eine 16 mm hohe hochbelastbare kapillarpassive Drainagematte als Flächendrainage verwendet. In Kombination mit dem Trass-Drainagemörtel wurde hier ein bewährtes wasserdurchlässiges System aus dem Garten- und Landschaftsbau quasi zweckentfremdet. Als Dehnfugen fungieren jeweils die 14 Meter langen Gratfugen. Um die Sparverblender bei einer Dachneigung von 45 Grad im Mörtelbett verlegen zu können, wurden auf den Dächern Konsolen montiert.

Aus
STEIN.KERAMIK.SANITÄR
Ausgabe 6.2020


Über das Neubauprojekt und Pfarrzentrum

Im Jahr 2010 hatte die Pfarrgemeinde St. Konrad mit den Planungen begonnen. Ausschlaggebend war das Projekt „Zukunft jetzt“ des Erzbistums Köln gewesen. Ziel war es, die Räume der Gemeinden so zu gestalten, dass sie zum veränderten Gemeindeleben passen: Weniger Mitglieder brauchen weniger Platz, durch weniger Platz und gemeinsame Gebäudestrukturen sinken Heiz- und Stromkosten. So liegen Bücherei, Pfarrbüro und Gemeindesaal sowie die Kita in einem Gebäudekomplex. Dieser ist multifunktional ausgestaltet, so dass der große Multifunktionsraum für die Kita als Turn- und Bewegungsraum genutzt werden kann, aber auch für Veranstaltungen wie zum Beispiel den beliebten Karnevalssitzungen der Pfarrgemeinde oder für den jährlichen Trödelmarkt. Für den Neubau waren das alte Pfarrhaus, die alte Bücherei und Kaplanei abgerissen worden. „Wir haben es mit dem Neubau geschafft, uns auf der einen Seite zu reduzieren, und trotzdem alle Funktionalitäten wie bisher zu erhalten“, sagt der Bauherr.


Die Dachklinker „KKF ½-DF“ für das Dach des Neusser Pfarrzentrums und der Kindertagesstätte wurden im Wienerberger-Werk Bramsche-Pente produziert. Den Verlegemörtel lieferte Tubag, ein Unternehmen der Sievert-Gruppe: https://www.tubag.de/. Verfugt wurde mit Trass-Fugenmörtel TKF (Fassade) und TWM-s (für Lagerfugen, Gratfugen und Stoßfugen), ebenfalls von Tubag. Die zweite Entwässerungsebene bildet die Drainagematte „AquaDrain HU-EK“ von Gutjahr Systemtechnik GmbH (Philipp-Reis-Str. 5-7, 64404 Bickenbach, https://www.gutjahr.com/). Der Architekt: https://www.boehmarchitektur.de/st-konrad-neuss/. Weitere Ergebnisse des Kitapreises Nordrhein-Westfalen 2020: https://www.aknw.de/aktuelles/news/details/news/kitapreis-2020-grosse-architektur-fuer-die-kleinen. Der gesamtdeutsche Kita-Preis: https://www.deutscher-kita-preis.de/.