VERDREHTE WELT ALS MUSEALER BRÜCKENSCHLAG

© EinarAslaksen

© Courtesy Laurian Ghinitoiu

Während die „Neue Züricher Zeitung“ schimpft, ein weiteres Privatmuseum wie das Brückenmuseum „The Twist“ mit seinen 1 000 Quadratmetern Nutzfläche wäre das Letzte, was ein Planet namens Erde noch braucht, schwärmen andere in höchsten Tönen von einem architektonischen Highlight mitten in eine Naturidylle Norwegens, etwa eine Stunde Fahrzeit Richtung Norden mit dem Auto von Oslo entfernt.

Gemeint ist das „Kistefos Museum“ in Jevnaker, bekannt für seinen historischen Industriepark, zeitgenössische Kunstausstellungen und einen Skulpturenpark. Das Museum selbst wurde 1996 von dem Unternehmer und Kunstmäzen Christen Sveeas initiiert. Rund um die Überbleibsel einer 1889 errichteten Zellstofffabrik finden sich dort 46 Kunstwerke vieler norwegischer und internationaler Künstler wie etwa Yayoi Kusuma, Jeppe Hein, Tony Cragg und Anish Kapoor.

Seinen Namen erhielt das Museum von dem Wasserfall Kistefossen und dem 1889 von Andres Sveaas gegründeten Unternehmen A/S Kistefos Træsliberi, einer inzwischen still gelegten Papiermühle, deren Maschinenpark als einziger seiner Art in Norwegen erhalten blieb. Sein Nachfahre, der Multimillionär und Kunst-Mäzen Christen Sveaas kaufte acht Jahre nach der Stilllegung die Aktienmehrheit. Das Gelände der ehemaligen Papiermühle an beiden Seiten des Flusses Randselva verwandelte er auch auf Drängen des norwegischen Staates und der Kommune Jevnaker, die diese Gegend touristisch erschließen wollte, 1996 in eben diesen Skulpturenpark. Was fehlte war eine Verbindung beider Teile des Parks.

Für die Besuchern ist es nicht immer einleuchtend: Was ist Boden, was Decke.
  • © Courtesy Laurian Ghinitoiu
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Diese Brücke schlägt seit dem Herbst 2019 das Museumsgebäude „The Twist“, eher weniger eine Brücke, als vielmehr eine monumentale Skulptur, realisiert von dem dänischen Architekturbüro BIG (Bjarke Ingels Group), die über 25 Meter beide Ufer verbindet. Vom Hausherrn gewünscht war ein prestigeträchtiger Neubau, was für die Architekten von BIG eine leichte Übung war, die sich weltweit mit spektakulären Bauten einen Namen gemacht haben. Für die Architekten ist eine dem Umfeld angepasste Architektur kein Thema, Kontraste seien das Wichtigste, so formulierte es einmal BIG-Architekt David Zahle auf Fragen von Journalisten. Im Fall von „The Twist“ ging es den Architekten in erster Linie darum, das neue Museum als eigenes Kunstobjekt in den Skulpturenpark ein zu binden.

Und das ist denn auch die wichtigste DNA von „The Twist“, der wie ein futuristischer, nahe der Mitte um 90 Grad gedrehter Balken wirkt. Gebaut ist die Brücke aus 40 Zentimeter breiten Aluminiumpaneelen, was wie ein aufgefächerter Bücherstapel wirkt. Ein ähnliches Prinzip bestimmt auch das Innere mit weiß gestrichenem Tannenholz als Verkleidung für Boden, Wände und Decken. Durch diese aseptischen Tunnel wandelt der Besucher, ohne großartig von den platzierten Kunstwerken abgelenkt zu werden.

Die Besucher erwarten zwei gegensätzliche Ausstellungsräume. Der erste, horizontal orientierte Raum öffnet den Blick auf den Park, den Fluss und den Bestandsbau. Der vertikal orientierte Galeriebereich erinnert an einen White Cube mit künstlichem Licht. Beide sind verbunden durch die Twisted Gallery, ein Raumgefüge, in dem die Wand scheinbar zur Decke, die Decke zur Wand und zum Boden wird.

Ob die „Ponte Vecchio“ in Florenz, die ja nicht nur Brücke, sondern auch Einkaufsstraße ist, für die Architekten Inspirationsquelle war, wie mancher Besucher vermutet, dürfte eher bezweifelt werden.

Wichtig aber ist für die über die Brücke wandelnden Besucher, dass es von hier aus zu den Toiletten im unteren Stockwerk geht. Ihnen widmete der Hausherr Christen Sveaas besondere Aufmerksamkeit. Deshalb ließ er hier von dem Künstler Tony Oursler Videos mit Voyeuren an den Wänden anordnen. Zudem wird hier die Idee verdrehter Optik konsequent weitergeführt. Die ikonischen Stand-WCs des Designers Philippe Starck wirken in diesem außergewöhnlichen Ambiente wie museale Exponate.

Videoprojektionen in den Sanitärräumen konfrontieren Benutzer mit Voyeuren.
  • © EinarAslaksen
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Aus
STEIN.KERAMIK.SANITÄR
Ausgabe 6.2020


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Ob „The Twist“ nun ein Brückenschlag „mit sinnloser Architektur“ ist („NZZ“), oder ein „genialer Brückenschlag“ („ubm Magazin“) oder einfach nur „Brücke, Museum und Skulptur zugleich“ („db“) ist, liegt wie so oft in solchen Fällen provokativer Architektur in der Entscheidung des Betrachters. Auch die Frage, ob heute eloxiertes Aluminiumblech (die Außenbekleidung von „The Twist“) angesichts ökologischer Diskussionen zeitgemäß ist, bietet reichlich Diskussionsstoff. Bjarke Ingels, Architekt des Kopenhagener Architekturbüros BIG und damit Autor des Projektes, hat seine eigene Meinung über sein Werk: Er sieht es als „tektonisches Rätsel“. Im Internet gibt es eine Fülle von Beiträgen über das Projekt und das Museum. Die offizielle Seite des Museums: https://www.kistefosmuseum.com/. Die Architekten: https://big.dk/#projects.

So viel zum Schluss: einen „Award“ gab es natürlich auch: Den „Museums-Oscar“, verliehen vom LCD https://www.leadingculturedestinations.com/

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