Ein Beitrag aus SKS Ausgabe 6.2022

Gebaute Landschaft im Wandel des Lichts

Am Rand des Stadtzentrums von Rennes, der Hauptstadt der Bretagne, ist eine neue imposante „Berglandschaft“ gewachsen. Wo die Flüsse Îlle und Villaine zusammenfließen wird das Ufer seit kurzem gesäumt von Ilot de l’Octroi, einem Wohnkomplex, entworfen nach radikalen Ideen des niederländische Architekturbüros MVRDV, das bereits im französischen Bordeaux mit dem Projekt „Ilot Queyries“ Aufsehen erregte (wir berichteten ausführlich in der Ausgabe 1.2022).

Gegenüber dem grünen schwimmenden Park des Jardin de la Confluence In Rennes erheben sich drei polygonal geschnittene Wohngebäude wie Felsformationen aus dem Naturraum. Ein Farbverlauf von Grau bis Weiß, die Textur von Matt bis glänzend, umhüllt das Projekt und gibt vom Boden aus eine Gipfelanmutung. Trotz genauem Hinsehen bleibt die Materialität der Architektur lange verborgen: Die keramische Hülle verändert ihr Erscheinungsbild bei jedem Wetterwechsel, reflektiert ihre Umgebung und das Licht. Eine Fassade für das Octroi, das sich aus der Sicht von Rennes als markante Landschaft zeigt.

Octroi ist einladend, mit der Lebensqualität eines Dorfes, in dem die Bewohner den vorhandenen Naturraum und das kulturelle Wohnumfeld gemeinschaftlich erleben können.

Die Außenfassaden wölben sich und die Innenfassaden sind so geschnitten, dass sie möglichst viele Terrassen bieten.

Verdichtung funktioniert nur, wenn sie mit zusätzlichen Qualitäten einhergeht, und das ist unser Ziel für diese Bewohner“,
Nathalie de Vries, Partnerin im Büro MVRDV

Das „Ilot de l’Octroi“ markiert sowohl den Endpunkt einer städtebaulichen Achse, die dem Zentrum von Rennes entspringt, als auch den Beginn der Innenstadt. Auf dem letzten innerstädtischem Naturraum geben drei Gebäude, entwickelt nach Passivhausstandard, 136 Wohnungen eine neue Adresse. „Im Rahmen der Stadterweiterung von Rennes haben wir ein Stadtgebiet entworfen, das mehr öffentlichen Zugang zur Natur, private Grünflächen und fantastische Aussichten bietet. Verdichtung funktioniert nur, wenn sie mit zusätzlichen Qualitäten einhergeht, und das ist unser Ziel für diese Bewohner“, erklärt Nathalie de Vries, Partnerin im Büro MVRDV.
Die Natur lädt sich bei Ilot de l’Octroi auf verschiedenen Ebenen ein. Sie zeigt sich in der Idee, anstelle kleinerer Einheiten ein zusammenhängendes definiertes Gebäudevolumen in die urbane Umgebung einzuschreiben, wie in der vielseitigen Begrünung der stufen- und terrassenförmig angelegten Signalgebäude. Vertikale Öffnungen verstärken die entstehende Höhe und machen das Ensemble schon von weitem zum Blickfang. Erst die Vielzahl vertikal montierten keramischen Fassadenplatten vervollständigen das Gebäudekonzept. Aus der Entfernung entwickelt sich die Kubatur zum Bild einer imposanten Bergkette, die durchzogen scheint von Alpenwiesen und Gletscherfeldern. Die Außenfassaden wölben sich und die Innenfassaden sind so geschnitten, dass sie möglichst viele Terrassen bieten, die sich im Süden zum Fluss Vilaine, im Westen zur Landschaft und im Osten zur Stadt
Oberflächen und rhythmisierendem Format machen die Keramikfliesen schlussendlich möglich, was MVRDV als Gesamtkonzept verfolgt: Die Identität der Architektur soll sich in die umgebende Landschaft einfügen.
Den Kontext zu respektieren bedeutet, ihn als öffentlichen Raum zu strukturieren und ihn durch Gebäude zu begrenzen, so das Credo von MVRDV. Octroi ist einladend, mit der Lebensqualität eines Dorfes, in dem die Bewohner den vorhandenen Naturraum unter verschiedenen Aspekten im Wohnumfeld erleben können. Eine Besonderheit stellt der öffentliche Platz dar, den MVRDV schafft, indem es das Gebäude vom Flussufer zurückversetzt errichtet.

Wasser, Luft und Licht als kreative Komponenten

Das Herzstück des Quartiers ist über Stufen ans lang gestreckte Ufer angebunden und lädt mit Blick auf den angrenzenden schwimmenden Garten, den Jardin de Confluence, zum geselligen Miteinander ein. Im Dialog mit den Bestandsgebäuden, das Theatercafé Le Bacchus und die Pavillons de l‘Octroi, entsteht hier ein Ort kulturellen Lebens, der den Standort mit seiner Historie verbindet. Auch wenn an den Pavillions de l‘Octroi heute keine gleichnamige Warensteuer mehr entrichtet wird, als Gründungselement von Rennes markieren sie nun wieder den Eingang ihrer Stadt, die sich zu einer Metropole weiterentwickelt hat.
Keramik als Fassadenmaterial betont in jedem Gebäude des Ilot de l‘Octroi die Qualität, mit der sie entworfen und geplant wurden, um den Anforderungen ausgezeichneter Nachhaltigkeitssiegel gerecht zu werden. Die Robustheit, Langlebigkeit und Wirtschaftlichkeit der Keramikfassaden wird noch durch eine spezielle Oberflächenveredelung („Hytect“) verstärkt, die als Katalysator durch Licht eine Reaktion mit Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit auslöst und Mikroorganismen, Algen, Pilze und Moose zersetzt
In den Gebäuden sind Sozialwohnungen und Eigentumswohnungen, große und kleinere Wohnungen mit zwei- und dreifach orientierten Ausrichtungen konsequent durchmischt. Die multifunktionale Hülle bietet verschiedene Arten von Außenräumen für die Wohnungen an: Wintergärten, Loggias, Balkone und großzügige Terrassen tragen auch funktional zur Beschattung, als Sichtschutz, Lärmschutz und Windschutz bei, den Komfort der Außen- und Innenräume zu optimieren. Eine Kompetenz der hochgradig durchlässigen Gebäudehülle: Ihr Öffnungsgrad passt sich je nach Sonneneinstrahlung und Himmelsrichtung graduell an.
Der bewusste Umgang mit den grünen Ressourcen und der ökologischen Begabung des Ortes sollen Vorbildfunktion haben für die gesamte Metropolregion. Eine innovative Wohnlösung in dieser privilegierten Lage mit den Bestandsbauten zu finden, braucht Ortskenntnis. MVRDV arbeiten daher eng mit den in Rennes ansässigen Architekten des Büros ALL und dem Immobilienentwickler Giboire zusammen eine Partnerschaft, von der Nathalie de Vries sagt, sie habe ermöglicht in enger Verbindung mit dem Kontext zu planen und den Bedürfnissen dieser sich schnell entwickelnden Stadt gerecht zu werden. In Rennes wird man Ilot de l’Octroi auf keinen Fall verpassen. Bei Einbruch der Dunkelheit sind die Fassaden beleuchtet und bilden die neue nächtliche Silhouette.

In den Gebäuden sind Sozialwohnungen und Eigentumswohnungen, große und kleinere Wohnungen mit zwei- und dreifach orientierten Ausrichtungen konsequent durchmischt.

Die Hülle bietet verschiedene Arten von Außenräumen für die Wohnungen an: Wintergärten, Loggias, Balkone und großzügige Terrassen tragen auch funktional zur Beschattung, als Sichtschutz, Lärmschutz und Windschutz bei.


Die niederländischen Architekten ließen sich von geologischen Formationen inspirieren, wobei die keramische Fassadenbekleidung eine wichtige Rolle spielt. Sie sollte den Bezug zur Geologie mit matten und glänzenden Oberflächen in fünf verschiedenen Grautönen verstärken: „KeraTwin“ von Agrob Buchtal: https://facade.agrob-buchtal.de/de/fassadenverkleidung-keratwin. Das Objekt aus Architektensicht: https://www.mvrdv.nl/projects/252/ascension-paysagere

Alle Fotos: © agrob-buchtal.de / Ossip Architectuurfotografie

Diesen Beitrag teilen: